Die Tischgenossin Gottes – Hildegard von Bingen
Hildegard von Bingen ist wohl eine der heute noch bekanntesten Frauen des Mittelalters. Sie war Ärztin, Wissenschaftlerin, Seherin, Mystikerin, Künstlerin und Dichterin. Zudem war sie auch politisch engagiert. All das war für eine Frau damals sicher sehr außergewöhnlich. Zu ihrem Glück wurde sie im Hochmittelalter geboren, sodass ihr die Hexenverbrennung während der Hochzeit der Inquisition erspart blieb. Denn dieser wäre sie höchst wahrscheinlich aufgrund ihrer Fähigkeiten zum Opfer gefallen.
Was der weltberühmten Frau jedoch wahrscheinlich ihr nachhaltiges Andenken beschert hat, war ihr natur- und heilkundliches Werk. Dieses zählt noch heute zu den bedeutendsten Zeugnissen der sogenannten Klostermedizin.
Hintergrund der Hildegard von Bingen
Hildegard von Bingen kam als letztes von 10 Kindern einer Adelsfamilie zur Welt. Schon seit früher Kindheit plagten sie unterschiedliche Leiden. Unter anderem litt sie an besonders starker Migräne, die man heute als Auslöser für ihre seherischen Fähigkeiten sieht.
Sie selbst berichtete von ersten Visionen im Alter von drei Jahren. Im Alter von acht Jahren wurde ihr jedoch erst bewusst, dass dies ein besonderes Talent bzw. eine Gabe war. Genau in diesem Alter sandten sie ihr Eltern in das nahe Kloster Disibodenberg.
Dort sollte das damals kleine Mädchen ihre religiöse Erziehung erhalten. Die Äbtissin Jutta von Sponheim unterrichtete si in Wissenschaft, Künsten und Sprachen. Dies legte den Grundstein für ihre hochgebildete Persönlichkeit.
Äbtissin und Klostergründerin
Mit 38 Jahren nahm sie die Stelle der Äbtissin ein, nachdem Jutta von Sponheim gestorben war.
Im Jahr 1151 – 14 Jahre später – gründete Hildegard von Bingen das Kloster Rupertsberg bei Bingen. Dort verfasst sie ihre berühmten Schriften Physica und Causa et curae. 1165 gründete sie auch das heute noch bestehende Tochterkloster Eibingen bei Rüdesheim. Im Alter von 81 Jahre starb sie im Kloster Rupertsberg.
Hildegard von Bingen war gottesfürchtig. Sie war der Überzeugung, dass nur Gott alleine heilen könne. Dennoch vertrat sie auch die Ansicht, jeder Mensch sei für seine Gesundheit verantwortlich. Man müsse seinen Körper stärken und hierbei auch Heilmittel nutzen.
Gesundheit durch ganzheitlichen Ansatz
Ihre Schriften orientieren sich an der Lebensweise im Kloster. Der Tagesablauf stellt einen ausgeglichenen Lebensrhythmus dar. Er beinhaltet Arbeiten, Ruhen, Essen, Fasten, Reden, Schweigen und Schlafen.
Da es sich hierbei um die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen handelt, ist es ihr gelungen, ein Werk zu verfassen, welches noch heute großen Anklang findet. Der ganzheitliche Ansatz und die Balance dieser Bereiche fördern die Gesundheit. Dies ist wohl das Geheimnis für die Renaissance der Schriften und Ansätze der Hildegard von Bingen in der heutigen Zeit.
Mehr als je zuvor suchen die Menschen nach einer Ausgewogenheit in diesen Bereichen. Denn heute werden diese nicht mehr von außen vorgegeben, sondern wir könnn sie frei wählen. Das macht es beispielsweise schwierig, Fastenzeiten einzubauen, wenn Nahrung im Überfluss zur Hand ist.
Ihre Werke beschäftigen sich intensiv mit heilsamen Mineralen und Tiersubstanzen. Ein weiterer bedeutender Teil ihrer Arbeit war die Dokumentation der pflanzlichen Helfer. Dennoch war die Anwendung dieser Heilmittel für Hildegard von Bingen nie entscheidend in Bezug auf die Gesundheit eines Menschen.
Heilung mit verschiedenen Methoden
Krankheit und Gesundheit basierten für die Tischgenossin Gottes, wie man sie später auch ehrfürchtig nannte, daher auf dem physisch-psychischen Wechselspiel des Organismus und auf der Ausgewogenheit der einzelnen, oben genannten Bereiche.
Um ganzheitliche Gesundheit zu erreichen, muss laut Hildegard von Bingen jeder einzelne Teil der Person aufmerksam behandelt werden. Sie wandte daher viele unterschiedliche Methoden an, um Menschen zu helfen. Neben den Heilkräutern praktizierte sie auch verschiedene Methoden der religiösen und magischen Heilkunde, z. B. Beten und Handauflegen.
Mit ihrer Kraft war sie bald eine sehr gefragte Heilerin. Menschen aus unterschiedlichsten Regionen und Schichten suchten sie auf. Sogar Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III sollen sie regelmäßig schriftlich um Rat gefragt haben.
Verbreitung der Visionen von Hildegard von Bingen
Die Äbtissin und Ärztin war eine Frau mit sehr modernen Ansichten. So schloss sie beispielsweise die Sexualität für eine gesunde Lebensführung mit ein. Im Alter von 43 (ab 1141) begann sie, ihre Visionen schriftlich festzuhalten. Sie folgte damit, wie sie selbst sagte, dem Ruf Gottes. Dieser hatt ihr aufgetragen, ihre Visionen festzuhalten. Das war auch der Grund, warum sie so lange damit gewartet hatte.
Diese Behauptung führt oft zu Spott, was ihr natürlich nicht verborgen blieb. Doch als sie älter wurde, überwog der Wunsch, dieses Wissen zu überliefern. Um ihre Lehre zu verbreiten, begann sie im Alter von 60 Jahren, Missions- und Predigerreisen zu unternehmen. Dies tat sie bis ins Alter von über 72 Jahren.
Die Lehren der Hildegard von Bingen
Ein Leben auf Grundlage der Hildegardlehre bedeutet auch heute noch mehr Lebensfreude und ein Gewinn an Lebensqualität. Alleine mit der richtigen Ernährung kann jeder Einzelne wesentlich zur eigenen Gesundheit und einem besseren Gesamtbefinden beitragen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine gute Ernährung nur eine der 5 Säulen (Heilmittel aus der Natur, ausgewogene Ernährung, Ausleiten von schlechten Säften, Regeneration, Seele reinigen) der so genannten Hildegard-Medizin ist.
Ihre Heilkunde reiht sich zwar in die Aufzählung der so genannten alternativen Heilverfahren ein. Sie geht aber eigentlich noch viel weiter darüber hinaus. Die Wirksamkeit von Kräutern, die in jüngster Zeit wiederentdeckt wird, legte Hildegard in 2000 Rezepten nieder. Das Rezeptbuch nannte sie „Physika“. Doch das ist nur ein Teil ihres Wissens.
Ihre Ansätze sind zu vergleichen mit vielen Heilweisen anderer Kulturen, die neben den „herkömmlichen“ Heilungsmethoden auch religiöse, glaubens- und sinngebende, spirituelle, kosmische, seelische und soziale Aspekte mit einbezieht.
Der Mensch im Mittelpunkt
Bei Hildegard von Bingen steht der ganze Mensch im Mittelpunkt. Dabei geht es nicht darum, die Symptome zu bekämpfen. Es geht darum, den Ursachen auf unterschiedlichen Ebenen auf den Grund zu gehen. So kann man von ihr Aufzeichnungen über die ungünstige Auswirkung negativer Gedanken und/oder Gefühle finden. Ein Ansatz der heute noch sehr modern ist. Er ist seit jeher nicht nur ausschlaggebend für die Gesundheit, sondern auch den beruflichen und privaten Erfolg eines Menschen.
“Der Mensch baue seinen Leib als ein wohnliches Haus, damit die Seele gern darin wohnt.”